Veröffentlicht am März 11, 2024

Der Aktienkurs ist mehr als nur Angebot und Nachfrage; er ist das Ergebnis unsichtbarer Regeln und Akteure, deren Verständnis über Gewinn und Verlust entscheidet.

  • Ihr Geld fließt beim normalen Aktienkauf nicht an das Unternehmen, sondern an einen anderen Anleger am Sekundärmarkt.
  • Die Uhrzeit und der Handelsplatz Ihres Kaufs haben durch den „Spread“ einen direkten und messbaren Einfluss auf Ihre Kosten.

Empfehlung: Verstehen Sie die Marktmechanik, bevor Sie dem nächsten Finanzprodukt blind vertrauen. Nur so treffen Sie wirklich souveräne Entscheidungen.

Wenn Sie die Finanzmärkte beobachten, erleben Sie oft ein scheinbar irrationales Schauspiel. Kurse explodieren ohne ersichtlichen Grund oder stürzen ab, obwohl sich an den Fundamentaldaten eines Unternehmens nichts geändert hat. Die übliche Erklärung lautet schlicht: „Das sind Angebot und Nachfrage“. Doch diese Antwort ist so unbefriedigend wie die Feststellung, dass ein Auto fährt, weil sich die Räder drehen. Sie ignoriert den Motor, das Getriebe und die gesamte komplexe Mechanik, die im Verborgenen wirkt.

Die meisten Ratgeber konzentrieren sich darauf, Ihnen Produkte zu verkaufen – ETFs, Fonds, Zertifikate. Sie sagen Ihnen, *was* Sie kaufen sollen, aber selten, *wie* der Marktplatz, auf dem Sie agieren, tatsächlich funktioniert. Das ist ein entscheidender Fehler. Wer die Regeln des Spiels nicht kennt, kann auf Dauer nicht gewinnen. Die wahre Souveränität als Anleger beginnt nicht mit der Auswahl eines Produkts, sondern mit dem Verständnis der unsichtbaren Kräfte, die den Kurs bestimmen: die Rolle der Market Maker, die Funktionsweise des Orderbuchs und die versteckten Kosten, die im Spread lauern.

Aber was, wenn die wahre Ursache für unerklärliche Kursbewegungen nicht die Psychologie der Masse, sondern die kalte Logik von Algorithmen und die Struktur der Handelsplätze selbst ist? Dieser Artikel bricht mit den oberflächlichen Erklärungen. Wir tauchen tief in den Maschinenraum der Börse ein, um die Mechanismen aufzudecken, die wirklich darüber entscheiden, ob Ihr Investment eine Erfolgsgeschichte wird oder nicht. Wir werden analysieren, wie ein Kurs Sekunde für Sekunde entsteht, wohin Ihr Geld tatsächlich fließt, welche teuren Fehler Sie unbedingt vermeiden müssen und warum Panikverkäufe im Crash ein mathematischer Selbstmord sind.

Für alle, die einen schnellen visuellen Einstieg in die Grundlagen der Börse bevorzugen, fasst das folgende Video die wichtigsten Konzepte wie den Börsengang und die Entstehung von Aktienkursen zusammen. Es dient als perfekte Ergänzung zu den tiefgehenden Mechanismen, die wir in diesem Artikel aufdecken.

Um die verborgenen Kräfte des Marktes systematisch zu entzaubern, haben wir diesen Artikel klar strukturiert. Jeder Abschnitt beleuchtet einen kritischen Mechanismus, den Sie kennen müssen, um als Anleger wirklich fundierte Entscheidungen zu treffen.

Warum Aktienkurse manchmal verrückt spielen – und was das über Märkte verrät?

Die Vorstellung eines Marktes, auf dem rationale Investoren in Ruhe Unternehmenswerte bewerten, ist eine romantische Illusion. Die Realität ist ein Hochgeschwindigkeits-Schlachtfeld, auf dem Algorithmen in Mikrosekunden auf Nachrichten reagieren und eine einzelne negative Meldung eine Lawine auslösen kann. Diese extreme Volatilität ist kein Fehler im System, sondern ein Merkmal moderner Märkte. Eine Kennzahl wie die Volatilität des DAX zeigt diese Schwankungsintensität ganz konkret. Aktuelle Analysen belegen, dass die aktuelle Volatilität des DAX eine Schwankungsbreite von über 18% aufweist, was die täglichen Auf- und Abwärtsbewegungen quantifiziert.

Abstrakte Darstellung von Hochfrequenzhandel mit Lichtstrahlen und Datenströmen

Ein perfektes Beispiel für diesen Ansteckungseffekt im deutschen Leitindex war der Wirecard-Skandal im Jahr 2020. Als die Bilanzmanipulationen ans Licht kamen, stürzte die Aktie nicht nur selbst ins Bodenlose. Die Verwerfungen erfassten den gesamten DAX, da das Vertrauen in die Kontrollmechanismen des deutschen Marktes erschüttert wurde. Fonds, die den DAX abbilden, mussten ihre Wirecard-Positionen liquidieren, was zusätzlichen Verkaufsdruck auf andere Titel ausübte. Dies zeigt, dass Märkte keine isolierten Inseln sind, sondern vernetzte Ökosysteme, in denen der Zusammenbruch eines großen Players das gesamte Gefüge ins Wanken bringen kann.

Solche Ereignisse offenbaren, dass der Kurs oft nicht den langfristigen Wert eines Unternehmens widerspiegelt, sondern die Summe aus Angst, Gier und vor allem der Logik von automatisierten Handelssystemen. Für Sie als Anleger bedeutet das: Kurzfristige Kurssprünge sind oft nur Lärm. Die Fähigkeit, diesen Lärm von einem echten Signal zu unterscheiden, ist eine entscheidende Kompetenz.

Wie entsteht ein Aktienkurs wirklich – und wer bestimmt ihn sekündlich?

Die platte Antwort „Angebot und Nachfrage“ kratzt nur an der Oberfläche. Der eigentliche Prozess findet in einem digitalen Raum statt, dem Orderbuch. Hier werden alle Kauf- (Bid) und Verkaufsaufträge (Ask) für eine Aktie gesammelt, sortiert nach Preis und Zeit. Der aktuelle Kurs ist nichts anderes als der Preis der letzten erfolgreichen Transaktion, also der Punkt, an dem sich ein Käufer und ein Verkäufer geeinigt haben. Doch diese Einigung kommt nicht immer von allein zustande. Hier kommen die sogenannten Market Maker ins Spiel.

Market Maker, oft große Banken oder spezialisierte Handelshäuser, sind verpflichtet, kontinuierlich An- und Verkaufskurse zu stellen. Sie sorgen für Liquidität im Markt, also dafür, dass Sie jederzeit kaufen oder verkaufen können, auch wenn gerade kein anderer Privatanleger die Gegenseite Ihrer Order einnehmen will. Für diese Dienstleistung verlangen sie eine Gebühr, die sich im Spread manifestiert – der Differenz zwischen dem höheren Kaufkurs (Briefkurs) und dem niedrigeren Verkaufskurs (Geldkurs). Dieser Mechanismus ist das Herzstück des Handels und eine direkte Einnahmequelle für die Börsenakteure.

Ein entscheidender Faktor, der oft übersehen wird, ist der Handelsplatz selbst. Für deutsche Anleger macht es einen erheblichen Unterschied, ob eine Order über Xetra oder Tradegate ausgeführt wird, wie die folgende Gegenüberstellung zeigt.

Xetra vs. Tradegate: Handelsplätze im Vergleich
Kriterium Xetra Tradegate
Handelszeiten 9:00-17:30 Uhr 8:00-22:00 Uhr
Volumen Sehr hoch Mittel
Spread Eng während Haupthandelszeit Variabel, oft weiter
Eignung Große Orders, DAX-Aktien Kleinere Orders, längere Handelszeiten

Diese Unterschiede bei Volumen und Handelszeiten haben direkte Auswirkungen auf den Spread und damit auf Ihre Ausführungskosten. Der Kurs wird also nicht von einer zentralen Instanz „festgelegt“, sondern ist das dynamische Ergebnis aus Millionen von Orders von Menschen und Algorithmen, geformt durch die Regeln und Akteure des jeweiligen Handelsplatzes.

IPO oder Börsenhandel: Wo landet Ihr Geld wirklich, wenn Sie Aktien kaufen?

Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass man mit einem Aktienkauf das jeweilige Unternehmen direkt finanziell unterstützt. Dies ist nur in einem einzigen Fall korrekt: beim Börsengang, auch Initial Public Offering (IPO) genannt. Hier verkauft das Unternehmen (oder dessen Alteigentümer) erstmals neue oder bestehende Aktien an der Börse. Das eingenommene Kapital fließt direkt in die Kasse des Unternehmens und dient der Finanzierung von Wachstum, Forschung oder der Tilgung von Schulden. Dieser Prozess wird als Primärmarkt bezeichnet.

Der Börsengang der Porsche AG im September 2022 ist ein Paradebeispiel für den deutschen Markt. Wie Analysen zeigen, floss das Emissionsvolumen von 9,4 Milliarden Euro direkt an den Volkswagen-Konzern, der die Aktien veräußerte. Privatanleger, die am IPO teilnahmen, finanzierten also direkt den Mutterkonzern. Jeder einzelne Euro, den Sie jedoch nach diesem ersten Handelstag in eine Porsche-Aktie investieren, landet nicht mehr bei Porsche oder VW.

Visualisierung des Geldflusses bei IPO versus Sekundärmarkthandel

Denn sobald eine Aktie an der Börse gelistet ist, findet der gesamte weitere Handel am Sekundärmarkt statt. Wenn Sie eine Aktie kaufen, erwerben Sie diese von einem anderen Anleger, der sie verkaufen möchte. Die Börse agiert nur als Vermittler. Ihr Geld fließt also an den Verkäufer, nicht an das Unternehmen. Der Aktienkurs am Sekundärmarkt ist ein Indikator für den Wert, den die Anleger dem Unternehmen beimessen, aber er ist kein direkter Kapitalfluss mehr. Diese Erkenntnis wird von dem bekannten deutschen Finanzexperten Thomas Kehl prägnant zusammengefasst.

Bei einem Aktienkauf am Sekundärmarkt geht kein einziger Cent an das Unternehmen selbst – das Geld fließt ausschließlich an den Verkäufer der Aktie.

– Thomas Kehl, Finanzfluss YouTube-Kanal

Das Verständnis dieses Unterschieds ist fundamental. Sie unterstützen ein Unternehmen am Sekundärmarkt nicht direkt finanziell, sondern beteiligen sich an der Wette auf dessen zukünftigen Erfolg.

Der teure Fehler beim Aktienkauf: Warum Sie nie nachts oder am Wochenende ordern sollten?

Viele moderne Broker werben mit der Möglichkeit, rund um die Uhr handeln zu können. Was als Vorteil für den Anleger vermarktet wird, ist in Wahrheit oft eine teure Falle. Der Grund liegt in einem der wichtigsten, aber oft ignorierten Konzepte des Börsenhandels: der Liquidität. Liquidität bedeutet, dass es für eine Aktie viele Käufer und Verkäufer gibt, was zu einem hohen Handelsvolumen und – ganz entscheidend – zu einem engen Spread führt.

Die höchste Liquidität für deutsche Aktien findet sich während der offiziellen Handelszeiten des Referenzmarktes Xetra, also werktags zwischen 9:00 und 17:30 Uhr. Außerhalb dieser Zeiten, insbesondere nachts oder am Wochenende, trocknet der Markt aus. Es gibt kaum noch Handelsteilnehmer. Wenn Sie dann eine Order aufgeben, muss der Market Maker ein höheres Risiko eingehen, um Ihre Order auszuführen. Dieses Risiko lässt er sich bezahlen, indem er den Spread drastisch erhöht. Studien und Marktbeobachtungen zeigen, dass außerhalb der regulären Handelszeiten die Spreads um ein Vielfaches höher sein können. Dieser Aufschlag kann bei illiquiden Werten mehrere Prozent des Kurswertes ausmachen – ein direkter Verlust für Sie, noch bevor die Aktie sich auch nur einen Cent bewegt hat.

Der Glaube, durch eine Order am Wochenende einen „Vorsprung“ für die Börseneröffnung am Montag zu haben, ist ein Trugschluss. Sie geben die Kontrolle über den Ausführungspreis aus der Hand und zahlen mit hoher Wahrscheinlichkeit einen unnötig hohen Preis. Um diesen teuren Fehler zu vermeiden, ist Disziplin bei der Orderaufgabe entscheidend.

Ihr Plan für optimale Orderzeiten

  1. Handeln Sie nur während der Xetra-Haupthandelszeiten (9:00-17:30 Uhr), um von maximaler Liquidität und engen Spreads zu profitieren.
  2. Vermeiden Sie die ersten und letzten 30 Minuten des Handelstages, da hier die Volatilität oft am höchsten ist.
  3. Platzieren Sie niemals Market-Orders außerhalb der Hauptzeiten; Sie riskieren eine extrem schlechte Ausführung.
  4. Nutzen Sie immer Limit-Orders bei Aktien mit geringem Handelsvolumen, um den maximalen Kaufpreis festzulegen.
  5. Warten Sie mit Orders für US-Aktien bis zur Eröffnung der US-Börsen (15:30 Uhr MEZ), um auch hier im liquidesten Umfeld zu agieren.

Geduld und das Wissen um die Marktmechanik der Liquidität sind somit direkte Hebel zur Maximierung Ihrer Rendite.

Warum Märkte 10% an einem Tag fallen können – und komplexe Produkte schuld sind?

Ein Kurssturz von 10% oder mehr an einem einzigen Tag, ein sogenannter „Flash Crash“, scheint den Gesetzen der Logik zu widersprechen. Solche Ereignisse sind selten das Resultat von panischen Massenverkäufen von Privatanlegern. Vielmehr sind sie oft die Folge einer Kettenreaktion, die durch die Funktionsweise von komplexen Finanzprodukten und den Einsatz von massivem Hebel ausgelöst wird. Instrumente wie Total Return Swaps, Optionen oder gehebelte Zertifikate ermöglichen es großen Akteuren, mit relativ geringem Kapitaleinsatz riesige Positionen aufzubauen.

Das Problem: Diese Positionen sind oft intransparent und bauen ein enormes, unsichtbares Risiko im System auf. Der Zusammenbruch des Hedgefonds Archegos Capital im Jahr 2021 ist ein Lehrbuchbeispiel. Archegos hatte über Swaps massive, gehebelte Wetten auf einige wenige Aktien abgeschlossen. Als eine dieser Aktien fiel, konnten sie die Nachschussforderungen der Banken (Margin Calls) nicht bedienen. Die Banken waren gezwungen, die zugrundeliegenden Aktienpakete in den Markt zu werfen, was zu einem Kurssturz der betroffenen Papiere um bis zu 50% innerhalb weniger Tage führte. Laut einer Analyse der Bundeszentrale für politische Bildung führte der Zusammenbruch von Archegos Capital zu Verlusten von über 10 Milliarden Dollar bei globalen Großbanken.

Diese Schockwellen zeigen, wie eng das globale Finanzsystem verwoben ist. Ein Feuer in einer kleinen, dunklen Ecke des Marktes kann sich rasend schnell zu einem Flächenbrand entwickeln. Die Angst vor solchen unkalkulierbaren Risiken wird im deutschen Markt durch den VDAX-NEW, den sogenannten „Angstindex“, gemessen. Er spiegelt die erwartete Schwankungsbreite des DAX wider. In Krisenzeiten schießt dieser Index in die Höhe und signalisiert extreme Nervosität unter den professionellen Marktteilnehmern. Er zeigt, wann die „Stillhalter“ von Optionen hohe Prämien für die Absicherung gegen fallende Kurse verlangen.

Für Sie als Anleger ist die wichtigste Lektion: Der Markt ist kein sicherer Ort. Es gibt versteckte Risiken, die selbst Experten nicht immer vorhersehen können. Eine breite Diversifikation über viele Anlageklassen und Regionen ist daher keine bloße Empfehlung, sondern eine Notwendigkeit, um sich vor solchen unvorhersehbaren Kettenreaktionen zu schützen.

Welche 5 Finanzbegriffe müssen Sie verstehen, bevor Sie den ersten Euro investieren?

Um an der Börse nicht nur zu überleben, sondern erfolgreich zu agieren, müssen Sie die Sprache des Marktes fließend sprechen. Viele komplexe Strategien basieren auf wenigen, aber entscheidenden Grundbegriffen. Anstatt ein Lexikon auswendig zu lernen, konzentrieren Sie sich auf die Konzepte, die eine direkte Auswirkung auf Ihre Kosten und Ihr Risiko haben. Das wohl wichtigste Konzept ist der Spread, auch Geld-Brief-Spanne genannt. Wie bereits erläutert, ist dies die Differenz zwischen dem Preis, zu dem Sie kaufen können (Briefkurs), und dem Preis, zu dem Sie verkaufen können (Geldkurs). Ein enger Spread ist immer in Ihrem Interesse, da er niedrigere Transaktionskosten bedeutet.

Direkt damit verbunden ist die Volatilität. Sie beschreibt die Schwankungsbreite eines Kurses über einen bestimmten Zeitraum. Eine hohe Volatilität bedeutet, dass der Kurs stark auf und ab springt, was ein höheres Risiko, aber auch höhere Chancen mit sich bringt. Stabile Blue-Chip-Aktien haben tendenziell eine niedrigere Volatilität als kleine Technologie-Werte. Dieser Wert hilft Ihnen, das Risiko einer Anlage einzuschätzen.

Ein weiterer entscheidender, aber oft vernachlässigter Begriff ist der Börsenplatz. Wo Sie handeln, ist keine Nebensächlichkeit. Wie wir im Vergleich zwischen Xetra und Tradegate gesehen haben, unterscheiden sich die Handelsplätze in Liquidität, Handelszeiten und damit direkt im Spread. Eine Order für eine DAX-Aktie sollte zur Haupthandelszeit auf Xetra platziert werden, um die besten Konditionen zu erhalten. Eine Order für eine kleine US-Nebenwertaktie hingegen ist dort schlecht aufgehoben. Die Wahl des richtigen Börsenplatzes ist somit ein aktiver Teil der Kostenoptimierung.

Zwei weitere Begriffe bilden das strategische Fundament. Die Diversifikation ist das Prinzip, nicht alle Eier in einen Korb zu legen, sondern das Risiko auf verschiedene Aktien, Branchen und Regionen zu verteilen. Der Zinseszinseffekt beschreibt die mächtige Dynamik, bei der erzielte Erträge (Dividenden oder Kursgewinne) reinvestiert werden und selbst wieder neue Erträge erwirtschaften – der eigentliche Motor des langfristigen Vermögensaufbaus.

Der fatale Fehler bei Börsencrashs: Warum Verkaufen bei -30% Sie 50% Rendite kostet?

In einem Börsencrash, wenn das eigene Depot tiefrot ist, schreit der Instinkt: „Verkaufen! Rette, was noch zu retten ist!“ Doch dieser Impuls ist der größte Feind des langfristigen Anlageerfolgs. Der Grund dafür ist keine esoterische Börsenweisheit, sondern brutale Mathematik. Ein Verlust von 30% mag schmerzhaft sein, aber um diesen Verlust wieder auszugleichen, benötigt Ihr verbleibendes Kapital einen deutlich höheren prozentualen Gewinn. Die Mathematik ist gnadenlos: Nach einem Verlust von 30% benötigen Sie einen Gewinn von rund 43%, um wieder auf Ihrem Ausgangsniveau zu sein. Wer bei -50% in Panik verkauft, braucht sogar eine Rendite von 100%, um den Verlust wettzumachen – eine Verdopplung des Kapitals.

Jeder Verkauf im Tief zementiert nicht nur den Verlust, sondern beraubt Sie auch der Chance, an der anschließenden Erholung zu partizipieren. Die Geschichte der Finanzmärkte zeigt, dass auf jeden Crash eine Erholung folgte. Der Corona-Crash im Frühjahr 2020 ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit. Der DAX fiel im März 2020 um über 35% auf unter 9.000 Punkte. Anleger, die in dieser Phase panisch ihre Anteile verkauften, verpassten eine der schnellsten Erholungen der Geschichte. Bereits im November desselben Jahres, nur acht Monate später, markierte der Index neue Allzeithochs. Wer investiert blieb, hatte nicht nur seine Verluste wieder aufgeholt, sondern stand deutlich im Plus.

Der fatale Fehler ist also nicht der temporäre Buchverlust im Depot, sondern die Umwandlung dieses Buchverlusts in einen realen Verlust durch einen panischen Verkauf. Erfolgreiche Anleger zeichnen sich nicht dadurch aus, dass sie Crashs vorhersagen – das kann niemand verlässlich. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen Plan haben und die emotionale und finanzielle Stärke besitzen, diesen Plan auch in den turbulentesten Marktphasen durchzuhalten. Das Wissen um die gnadenlose Mathematik der Erholung ist dabei der stärkste mentale Anker.

Das Wichtigste in Kürze

  • Ein Aktienkurs ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis konkreter Mechanismen wie dem Orderbuch und der Arbeit von Market Makern.
  • Versteckte Kosten lauern im Spread, der maßgeblich von Handelszeit und Handelsplatz abhängt. Uninformiertes Handeln ist teuer.
  • Ein panischer Verkauf im Crash ist ein mathematischer Fehler: Ein Verlust von 50% erfordert einen Gewinn von 100% zum Ausgleich.

Wie Sie einzelne Aktien selbst bewerten und die richtigen Unternehmen für Ihr Portfolio finden

Das Verständnis der Marktmechanik ist die Verteidigung. Die Fähigkeit, Unternehmen zu analysieren, ist der Angriff. Anstatt blind auf Empfehlungen zu vertrauen oder dem nächsten Hype hinterherzulaufen, können Sie lernen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Das Ziel ist, Unternehmen zu finden, die nicht nur heute gut dastehen, sondern einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil besitzen – einen sogenannten Burggraben. Das kann eine starke Marke, ein technologischer Vorsprung oder ein unschlagbares Netzwerk sein.

Eine grundlegende Analyse muss nicht kompliziert sein. Sie beginnt mit dem Lesen des Geschäftsberichts, insbesondere des Lageberichts, in dem das Management seine Sicht auf die Zukunft darlegt. Anschließend prüfen Sie einige wenige, aber aussagekräftige Kennzahlen. Ein niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) unter 15 kann auf eine günstige Bewertung hindeuten. Eine hohe Eigenkapitalquote von über 30% signalisiert finanzielle Stabilität. Eine lange Historie konstanter oder steigender Dividendenzahlungen ist oft ein Zeichen für ein solides und profitables Geschäftsmodell.

Ihre 4-Schritte-Analyse für deutsche Aktien

  1. Burggraben-Analyse: Identifizieren Sie den nachhaltigen Wettbewerbsvorteil. Warum würden Kunden nur schwer zur Konkurrenz wechseln?
  2. Geschäftsbericht lesen: Fokussieren Sie sich auf den Lagebericht und die Entwicklung der operativen Margen. Wächst das Unternehmen profitabel?
  3. Kennzahlen prüfen: Suchen Sie nach einem KGV unter 15, einer Eigenkapitalquote über 30% und einem positiven Cashflow.
  4. Dividendenhistorie checken: Prüfen Sie, ob das Unternehmen über mindestens 5 Jahre hinweg seine Dividende nicht gekürzt hat.

In Deutschland gibt es eine Reihe von Unternehmen, die für ihre Stabilität und verlässlichen Ausschüttungen bekannt sind. Diese sogenannten Dividendenaristokraten sind oft ein guter Ausgangspunkt für eigene Analysen, da sie ihre Robustheit über viele Jahre bewiesen haben.

DAX-Dividendenaristokraten im Vergleich 2024
Unternehmen Dividendenrendite Jahre ohne Kürzung Ausschüttungsquote
Allianz 5,8% 10+ 50%
Munich Re 4,2% 10+ 45%
BASF 7,1% 5+ 60%

Diese Werkzeuge geben Ihnen eine rationale Grundlage für Ihre Entscheidungen und befreien Sie von der Notwendigkeit, auf die Meinung anderer angewiesen zu sein. Sie investieren nicht mehr in ein Kürzel, sondern in ein Geschäftsmodell, das Sie verstehen.

Letztendlich ist der Schlüssel zum Erfolg, einen wiederholbaren Prozess für die Bewertung von Unternehmen zu entwickeln und diesem diszipliniert zu folgen.

Um diese Prinzipien erfolgreich anzuwenden, beginnen Sie noch heute mit der Analyse eines Unternehmens, dessen Produkte oder Dienstleistungen Sie bereits kennen und verstehen. Das ist der erste Schritt zur wahren Anlagesouveränität.

Geschrieben von Thomas Schneider, Thomas Schneider ist unabhängiger Finanzanalyst und zertifizierter Anlageberater (CFP) mit 14 Jahren Erfahrung in der Vermögensberatung für Privatanleger. Nach seinem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Goethe-Universität Frankfurt arbeitete er zunächst bei einer überregionalen Direktbank, bevor er sich 2016 selbstständig machte, um interessenkonfliktfreie Beratung anzubieten.